Von #DHAL zu #DHall
von Torsten Roeder, Februar 2021
Corona und informelle DH-Treffen
Neben der Kombination von Informatik und Geisteswissenschaften basieren die Digital Humanities auf offenen und niederschwelligen Kommunikationsräumen. Mit den Maßnahmen zur Eindämmung der weltweiten Pandemie im Jahr 2020 mussten die zahlreichen informellen lokalen Angebote im DH-Bereich stark einbüßen: Stammtische mussten abgesagt werden, Science Cafés, Summer Schools oder Hackathons wurden gecancelt oder in digitale Formate transformiert. Die DH verloren dadurch einen bedeutenden Teil ihrer Aktions- und Handlungsräume für den interdisziplinären »Austausch auf Augenhöhe« (vgl. Busch et al. 2016). Informelle Kommunikationsräume boten außerdem einen für die DH wichtigen außerinstitutionellen Netzwerkeffekt (Wuttke 2019: 71).
Transformation eines Real-Life-Events
Der Hallenser DH-Stammtisch #DHAL erprobte einen alternativen Weg über das digitale Medium. Wie aber konnte dort das bottom-up-Prinzip (vgl. Roeder/Müller 2019) bewahrt werden? Es wurde dazu eingeladen, zu einem bestimmten Termin (erstmals am 17. März 2020) beliebige digitale Kommunikationskanäle offen zur Verfügung zu stellen. Aus den diversen Kanälen – Twitter, Slack, Telegram – konvergierte der größere Teil der spontan aus DH-affinen Personen entstandenen Gruppe auf Discord. Es entstanden im Verlauf der weiteren Treffen sogar ein Minecraft-Server und regelmäßige skribblio.io-Treffen. Anders als während des analog stattfindenden Stammtischs #DHAL beteiligten sich daran aber nicht nur Menschen aus Halle, Leipzig, und Merseburg. Neugierige Personen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum stießen hinzu und tauschen sich seitdem in verschiedenen thematisch, domänenspezifischen und regional orientierten Chat- und Voicechannels aus. Es wurde bald deutlich, dass es dabei nicht ausschließlich um fachliche Synergien ging, sondern ganz wesentlich um die direkten persönlichen Brücken zueinander, die im Homeoffice viele der Teilnehmenden vermissten. So transformierte #DHAL schließlich zu »DH für alle«: #DHall.
Ein Jahr #DHall
Die so entstandene virtuelle DH-Subcommunity kommt weiterhin regelmäßig zum fachlichen und informellen Austausch zusammen und zählte schon im April 2020 weit über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus vielen deutschsprachigen Regionen und unterschiedlichsten Fachgebieten. Inzwischen ist die Zahl der Anmeldungen auf über 400 angestiegen. #DHall ist dezentral administriert, institutionell unabhängig und wird von diversen Netzwerken genutzt: So wurde dort beispielsweise eine Pecha Kucha-Night veranstaltet (vgl. Dogunke 2020), das DH-Kolloquium der BBAW abgehalten (vgl. Thomas 2020) oder zum Ausklang des DH-Days Leipzig eingeladen (vgl. Burghardt 2020). #DHall ist offen für alle Ideen und Formate. Viele nutzen die diversen Kanäle zum fachlichen Austausch, beispielsweise zur Digitalen Lehre und Digitalen Editionen, zur regionalen und domänenspezifischen Kommunikation, aber auch für informelle Gespräche in der Kaffeepause.
Post-Covid #DHall?
Freilich ist #DHall aus einer besonderen Situation entstanden und entwickelte sich ungeplant zu einem relevanten Kommunikationsort der Lockdown-Zeit, nicht zuletzt durch akuten psychologischen Bedarf nach Zusammenhalt und Unterstützung in der ungewohnten Homeoffice-Situation (vgl. dazu Petzold et al. 2020). Kann diese Plattform aber auch über die Pandemie-Zeit hinaus bewahrt werden, oder verliert sie mit dem Ende der Corona-Maßnahmen ihren Impetus? Allein aufgrund des überregionalen Charakters füllt #DHall eine Lücke, die auch nach Wiederaufnahme lokaler Community-Treffen von Bedeutung bleibt. Der Bedarf an einer digitalen Austauschplattform bestand allerdings schon seit längerem: Während beispielsweise die englischsprachige Community auf Slack unterwegs ist, fehlte im deutschsprachigen Raum bislang ein niederschwelliges Angebot für das fachliche und informelle Gespräch. Vor diesem Hintergrund ist es beabsichtigt, #DHall weiterhin verfügbar zu halten. Durch dezentrale Administration können jederzeit Channels für Chat, Voice, Video und Screenshare eingerichtet werden. Die Anmeldung ist anonym und ohne Wartezeit möglich.
Literatur
-
Burghardt 2020: Manuel Burghardt, 4. Digital Humanities Day Leipzig, 02.12.2020. fdhl.info
-
Busch et al. 2016: Anna Busch, Jan Christoph Meister und Mareike Schumacher, Wo bleibt eigentlich der einzelne Fachwissenschaftler? DOI: 10.1515/bfp-2016-0028
-
Dogunke 2020: Swantje Dogunke, Die fabelhafte Welt der Digital Humanities, 25.06.2020. URL: uni-weimar.de
-
Müller 2019: Andreas Müller, #DHAL Demystified: The Joys of Founding a DH Regulars’ Table. In: Met-Hodos. (Re)considering the road of research and analysis, 28.10.2019. URL: methodos.hypotheses.org
-
Petzold et al. 2020: Moritz Bruno Petzold, Andreas Ströhle und Jens Plag: COVID-19-Pandemie: Psychische Belastungen können reduziert werden. In: Deutsches Ärzteblatt 2020, 117(13), A 648–54. URN: aerzteblatt.de
-
Roeder/Müller 2019: Torsten Roeder und Andreas Müller, Digital Humanities als Stammtisch-Science? DOI: zenodo.org
-
Thomas 2020: Christian Thomas, Digital-Humanities-Kolloquium, 03.07.2020. URL: bbaw.de
-
Wuttke 2019: Ulrike Wuttke, Infrastrukturelle Erfolgsfaktoren für einen Digital Humanities-Schwerpunkt an deutschen Universitäten. URN: th-koeln.de